Katalogtext 1999 von Prof.Dr.sc.phil.Marieluise Schaum über neue
Holografische Arbeiten von Karsten Habighorst.
Licht mit Licht darstellen –
neue Holografische Arbeiten von Karsten Habighorst
In seinen Hologrammen realisiert Karsten Habighorst provozierend neue und schöne
Modalitäten des künstlerischen Schaffens, die die Suche des Künstlers nach neuem Ausdruck
verdeutlichen. Seine Werke, von den frühen Versuchen bis heute, stellen mit dem freien
virtuellen Raum der Holografie die Fläche als gängiges Kriterium des „klassischen“ Bildes in
Frage. Seine Formbildungen beruhen auf der Abweichung von Tradiertem. Im holografischen
Raum entwickeln die Bildobjekte – abstrakte Farbelemente zumeist – eine räumliche
Dynamik, die dem Betrachter die Dimensionen seiner Erfahrung raubt. Auf diese Weise
erreichte K. Habighorst die besondere Wirkung, die den Rezipienten zugleich verunsichert
und anzieht, ihm im Dazwischen evtl. seine eigenen Wahrnehmungsweltenerlebbar macht,
eine unbekannte Gefühlsklaviatur zum Klingen bringt. Diese Erweiterung des klassischen
Bildterritoriums in den neuen Werkgruppen verdeutlicht sowohl die kreative
Gestaltungsleistung als auch die technische Neugier K. Habighorsts, der bereits 1987 ein
eigenes Holografielabor gründete und seitdem mit seinen künstlerischen Aktivitäten und
Ergebnissen in Erscheinung trat. Seine Arbeitsräume sind Licht- und Laserlabor,
Künstleratelier und Büro zugleich und auch ein wenig Bühne für inszenierte
Bildaufzeichnungen. K. H. verfolgt erkennbar eigene Ziele im Rahmen der allgemeinen
Entwicklung seines Mediums. Auf den bildhaften Illusionismus dreidimensionaler Objekte,
die in zahlreichen frühen Versuchen klassischer holografischer Darstellungen in farbigen
Räumen greifbar erschienen, kann er ganz verzichten. Das „Übertreffen der Realität im
Erscheinen“ ist als künstlerisches Abenteuer für ihn beendet, die Potenzen dieses
gestalterischen Weges sind ausgeschöpft. Die Arbeiten, die die jetzige Ausstellung zeigt,
konzentrieren sich auf Farblichtgebilde abstrakter Art. Keine gegenständlich-imitative
Darstellung lenkt die Aufmerksamkeit in die Richtung sensationeller Abbildlichkeit. Die
„Lichtmasse“ des Exponats er-scheint vor der Stelle des jeweiligen Werkes. Der Betrachter
sieht eine immaterielle Erscheinung, die sich mit seinen Bewegungen ändert, sich auf ihn
zuzubewegen oder ihm zu folgen scheint, ihn irritiert und fasziniert. Der materielle Träger,
das eigentliche Hologramm, in diesem Fall auf Plexiglas auf einem Sockel, fungiert als
Instrument, als Bildherstellungsmodell für die immaterielle Skulptur, die der Künstler
gestaltet. Technisch gesehen sind es Deformationen des Laserlichts, Linien, die sich aus der
Richtung krümmen, die – holografisch abgelenkt, zerschnitten, zerbeult – nach physikalischen
Gesetzen erzeugte Lichtstörungen darstellen, mit denen sich Karsten Habighorst an
Grenzbereiche heranzutasten versucht – unter Einsatz von höchstem technischen Aufwand.
Das bleibt dem Betrachter verborgen. Ihm begegnen die Exponate als unwirklich leuchtende
Farbgebilde im holografisch erzeugten Raum, Emanationen des Lichts, deren Gestalt und
Ausdehnung einer Dynamik unterliegen, die von seiner Eigen-bewegung abhängt. Der
Rezipient als Akteur wird zum Mitgestalter des Bildes – eine moderne Auffassung von
Interaktion. Den konkreten Ort des abstrakten Farbgebildes zu bestimmen, gelingt aber nicht,
ebenso wie die Dimensionen des Umraums schwer abschätzbar bleiben. Die gewohnte
visuelle Raumwahrnehmung muß versagen. Der Verlust der sinnlich erfahrbaren räumlichen
Distanz und das daraus resultierende Verlangen nach Vergewisserung dem virtuellen Raum
gegenüber setzen taktile Effekte in Gang, erzeugen bisher ungekannte Gefühle, einen
neuartigem ästhetischen Reiz. Der junge Künstler hat damit aus dem reichen Potential
gestalterischer Möglichkeiten der Holografie Ausdrucksformen für sich entwickelt, die
Parallelen zu aktuellen Kunsttendenzen anderer medialer Bereiche besitzen. In der
gegenwärtigen Pluralität künstlerischer Erscheinungsweisen, in der schier alles möglich zu
sein scheint, erlangen Prinzipien eine Dominanz, die adäquat die Holografie als Kunstform
nutzt, um Gegenwartserfahrungen zu artikulieren. Die immaterielle Ästhetik des
holografischen Raumes, die Selbsreferenz des Lichts sowie die Aufhebung der Distanz
zwischen Bild und Wirklichkeit sind nur einige Gestaltungskategorien, die die Holografie als
neuartige Kunstform charakterisieren, die als veränderte Bildwirklichkeiten eine
Entsprechung in gegenwärtigen Kunstkonzepten finden. Die unbestimmbare räumliche
Dimension der Hologram-me, vor allem die Immaterialität des holografischen Raumes führen
zu schwerelos schwebenden Farbformen von leuchtender Fülle, die jede Farbmaterialität
hinter sich lassen. Genau diese Tendenz, Farbmaterial als Grunderwartung an Malerei durch
immaterielles Farblicht zu ersetzen, findet man als Kennzeichen zahlreicher gegenwärtiger
Künstlerkonzepte. Der Materialaspekt, der im 20. Jahrhundert nach der maximalen
Rangerhöhung der Farbe der Moderne (E. Strauß) eine immer stärkere Dominanz erlangte,
sodaß der Ausdruckswert von Pigment und Werkstoff als konstitutives Element des Bildes
eine bisher ungekannte Autonomie erlangte, er wurde in der Kunstentwicklung konfrontiert
mit dem Phänomen immateriellen Farblichts. Die Gemeinsamkeit dieser künstlerischen
Installationen, die sich mit Namen der Altmeister Flavin, Morellet, Turrell u.a. verbinden, mit
der Holografie besteht nicht in der Verwendung von Licht als Gestaltungsmittel, hier Neon – ,
da Laserlicht. Vielmehr negieren bildende Künstler die materielle Präsenz des uralten
Malmaterials. Sie überschreiten Grenzen, um bildliche Bedeutung, soziale Er-fahrung der
Jetztzeit mit neuen adäquaten Mitteln ihres Mediums zu formieren. Dieses Vorgehen
gestalterischen Abweichens von geprägten Erwartungen findet Parallelen in anderen
Bereichen der bildenden Kunst:
Der Hohlraum, der das Volumen der Skulptur ersetzt, die vermehrt auftretende Bodenplastik,
die dieHöhenerstreckung vermeidet, die Unsichtbarkeit des visuellen Kunstwerkes, seine
Begehbarkeit, Veränderbarkeit, Instabilität und Vergäng-lichkeit, die sich dauerhaften
Existenzweisen entzieht, sie sind Reflex und Reaktion auf der Ebene und mit den Mitteln der
Künste ebenso wie die Dominanz von Ideen in der Konzeptkunst gegenüber der sinnlichen
Ansprache gestalteter Werke. Die überbordende Banalität, orchestriert mit Materialien der
Trivialkultur, erweist sich als Ausdruckspotential einer jungen Generation in der aktuellen
Gegenwart, die Flokati und den Müll der Wegwerfgesellschaft zu Ansammlungen von neuem
ästhetischen Reiz akkumuliert. Die neuen Medien in ihrem Beitrag, Metaphern für die
Gegenwart zu finden, obscur, schockierend oder erfüllt vom Drama des häuslichen Lebens,
sie sind in der Aufzählung ausgespart. Die künstlerische Holografie ist von Anfang an
mitPositionen verbunden, die die aktuelle Kunst durch Nieder-reißen von Konventionen im
Kunstkontext erst erringen mußte. Die im Medium angelegten Gestaltungsprinzipien, die
Immaterialität des künstlich erzeugten Laser-lichts, das den besonderen Charakter der Bilder
bestimmt, die Faszination für den Betrachter, vor den Werken mit dem scheinbar
Unwirklichen konfrontiert zu sein, aber auch der moderne Aspekt der Interaktion von
Betrachter und Werk haben der Holografie das „demonstrative Eintreten für das Gegenteil“
erspart, das internationale Kunsttrends kennzeichnet, die das Etikett „neu“ für sich
beanspruchen. Vielmehr wird die Holografie selbst von Anfang an als ein „neues
künstlerisches Medium“ anerkannt (Neufeldt), seitdem sie auf ausgereifte technische
Voraussetzungen zurückgreifen und Einzug in die Museen halten konnte. Das Abweichen von
traditionellen Kunst– und Bildvorstellungen führte dazu, daß Theoretiker ihre besondere
Eignung als ästhetisches Ausdruckspotential der aktuellen Gegenwart konstatieren. Nach P.
Zec gilt sie als „Spielart der gegenwärtigen postmodernen Kultur“, deren „Entwicklung und
Verbreitung mitten in das Zeitalter der heutigen nachindustriellen, postmodernen
Gesellschaft“ hineinfällt, die mit einem Verlust an Verbindichkeit und Gültigkeit von noch
zuvor fest bestimmbaren Aussagen einhergeht. Mit dieser Fixierung auf die Jetztzeit soll nicht
die künftige Entwicklungdes Künstlerhologramms in Abrede gestellt werden. Vielmehr
begründen die Spezifika des Mediums von Beginn an die Geltung in der Pluralität der
gegenwärtiger Kunst-tendenzen. Sie besitzt eine gleichberechtigte Stimme im Chor der
unterschiedlichen aktuellen Verlautbarungen. Hier verdient das Konzept des jungen Künstlers
Karsten Habighorst Aufmerksamkeit, der in kreativer Handhabung der technischen Potenzen
des Mediums eine sehr gegenwärtige Variante der Holografie vorstellt.
Die Arbeiten, die er in dieser Ausstellung installiert, überzeugen nicht allein durch ihre
ästhetischen Prinzipien. Die spezifische farbige Raumfülle, die auf der absoluten Priorität des
Farblichts im Künstlerkonzept beruht, besticht ebenso wie die unbestimmbare räumliche
Tiefe, die als visueller Effekt ins Gewicht fällt und die aktive Rolle des Betrachters geradezu
herausfordert, der sich seiner Sinnesein-drücke durch Veränderung des Standortes vor dem
Exponat zu vergewissern sucht. Die Zuordnung der farbigen Bildelemente im Raum ist nicht
mehr als eindeutiges Oben und Unten, Vorne und Hinten bestimmbar, vielmehr unterliegt sie
dem Verhalten des Betrachters im Rezeptionsprozeß. Insbesondere die Art, wie der Künstler
den holografischen Raum konstituiert, läßt sich mit klassischen Parametern nicht begreifen.
Dieser wird als virtuelles Geschehen wahrgenommen, während er ästhetisch real erlebbar
bleibt. Damit verweist uns Habighorst auf Phänomene der alltäglichen Raumerfahrung
jetziger Kultur, die wesentlich durch den Verlust einer sinnlich erfahrbaren Materialität
gekennzeichnet ist, in der die räumliche Distanz verschwindet, die Wahrnehmungserfahrung
vor neuen Heraus-forderungen steht. Die Position von Habighorst erweist sich als
charakteristisches Kunstkonzept unserer Zeit, das Sinn und Bedeutung aus der Gegenwart
empfängt. Die Präsentationsformen am Ausstellungsort tun das ihre, um die Wirkung der
Exponate zu unterstützen. Die autonomen Farbformen, die keiner darstellerischen
Beschreibung mehr folgen, sondern in vollgültiger Selbstreferenz auf sich verweisen,
kommen spielerisch zur Geltung. Keine Vorgabe, der alles folgen müßte, zwingt den
Betrachter in eine Richtung. Er ist es, der mitgestaltet, sich einbringt, Überraschungen erlebt,
Verunsicherung und Bestätigung, vor allem aber eine unwiderstehliche Anziehung erfährt.
Auch darauf beruht wohl ein Teil des breiten Interesses, das der Holografie entgegengebracht
wird, das ihre Faszination ausmacht. Vielleicht gehört sie nicht nur ins Museum, das der
Auseinandersetzung des Individuums mit dem Einzelwerk Raum bietet, vielleicht kann das
Licht als neues Subjekt der Gestaltung im urbanen Ambiente seine Wirkung entfalten. Es ist
bekannt, daß Karsten Habighorst auch auf diesem Anwendungsgebiet der Holografie
künstlerische Ergebnisse vorweisen kann, die Geltung besitzen. Seine Auseinandersetzungen
mit optisch-physikalischen und technischen Prozessen der Holografie sind als
Voraussetzungen für eine mediengerechte Arbeitsweise in Künstlerdokumenten niedergelegt.
Diese Einblicke in den Ansatz der eigenen Arbeit vertiefen das Verständnis für die
Funktionsweise des Hologramms und bieten Grundlagen für die künstlerische Ausbildung, in
die er seine Erfahrungen als Kunstlehrer einbringen konnte.
Prof.Dr.sc.phil. Marieluise Schaum